Vorsicht, die Scheinselbständigkeit kann trügerisch sein
Vereinfacht gesagt geht es darum, dass eine selbständige Erwerbstätigkeit (in der Regel in der Rechtsform einer Einzelfirma) sozialversicherungsrechtlich nicht als selbständige Erwerbstätigkeit, sondern als unselbständige Erwerbstätigkeit eingestuft wird. Dies kann für die Auftraggeberin oder den Auftraggeber erhebliche finanzielle Folgen haben.
Muss-Kriterien aus Sicht der Sozialversicherungen für Selbständige
Aus Sicht der Ausgleichskassen und gestützt auf die aktuelle Rechtsprechung muss eine Tätigkeit folgende Kriterien erfüllen, um als selbständige Erwerbstätigkeit qualifiziert zu werden:
- Auftritt unter eigenem Namen
- Arbeit auf eigene Rechnung
- Tätigkeit in unabhängiger Position
- Ausübung auf eigenes wirtschaftliches Risiko
Wird nur eines dieser Kriterien nicht erfüllt, so wird in der gesamten Beurteilung die Selbständigkeit als nicht zulässig zurückgewiesen. Verschiedene Anhaltspunkte helfen bei dieser Beurteilung, so gilt als Faustregel, dass die/der selbständig Erwerbstätige mindestens drei verschiedene und unabhängige Auftraggebende aufweist, im Aussenauftritt zum Beispiel nicht mit dem Firmenwagen des Auftraggebenden auftritt oder grundsätzlich weisungsungebunden gegenüber dem Auftraggebenden ist. Aus Sicht der Ausgleichskasse ist es in gewissen Fällen zu bevorzugen, wenn keine Selbständigkeit, sondern ein Arbeitsverhältnis vorliegt, da dann die AHV-Beiträge beim Unternehmen (Auftraggebende) als faktischen Arbeitgebenden eingefordert werden können. Dies kann administrativ, aus Inkassogründen und auch in einzelnen Fällen bei der Beitragshöhe im Regelfall interessanter sein als bei den selbständig Erwerbstätigen.
Konsequenzen für Auftraggebende bei Scheinselbständigkeit
Kommt die Ausgleichskasse (z.B. anlässlich einer AHV-Revision) zum Schluss, dass bei Drittdienstleistenden eine Scheinselbständigkeit vorliegt, so wird die/der Scheinselbständige automatisch zum Arbeitnehmenden, d.h. es entsteht direkt ein (theoretisches) Arbeitsverhältnis. Dies hat (je nach Ausgangslage) folgende direkte Konsequenzen (grundsätzlich immer rückwirkend bis maximal 5 Jahre):
- Das Unternehmen i.S. des Auftraggebenden muss Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge der AHV/ALV/IV/FAK für die geleisteten Vergütungen an die Ausgleichskasse abführen.
- Je nach Höhe der geleisteten Vergütungen wird der Scheinselbständige BVG-pflichtig beim Untenehmen und es entsteht eine BVG-Beitragspflicht, die Beiträge sind wiederum im ersten Moment durch das auftragsgebende Unternehmen abzuführen
- Ist die/der Scheinselbständige Ausländer*in mit z.B. einer B-Bewilligung? Dann werden die erbrachten Leistungen quellensteuerpflichtig, auch hier wird erstmal das Unternehmen zur Kasse gebeten.
- Ferien- und Feiertagsentschädigungen: Dadurch, dass sich neu ein theoretisches Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ergibt, sind auf einmal auch noch Ferien- und Feiertagsentschädigungen geschuldet, analog dem Handling bei z.B. Stundenlöhnern.
Natürlich kann das Unternehmen versuchen, diese Kosten zumindest teilweise nachträglich bei der scheinselbständigen Person nachzufordern, aber die Praxis zeigt, dass dies langwierig wie auch aufwendig werden kann und auch nicht immer von Erfolg gekrönt ist, so dass das Unternehmen am Schluss auf einem hohen Teil dieser Kosten sitzen bleiben kann.Des Weiteren besteht aber auch für Selbständige ein häufig unterschätztes Risiko im Taggeldbereich. Kommt der Versicherer im Leistungsfall im Bereich UVG/KTG zur Beurteilung einer Scheinselbständigkeit, so kann dies zu einer Leistungsverweigerung beim Versicherten führen, da das Versicherungsunternehmen zum Schluss kommt, dass ein verstecktes Angestelltenverhältnis besteht!
Wegweisendes Urteil Uber
Dass die Umqualifizierung zur Scheinselbständigkeit kein abwegiges Szenario ist, zeigt das vielbeachtete «Uber Urteil»: Der Taxidienstleister Uber stellt eine App zur Verfügung, über die sich Fahrer*innen bei Uber anmelden können. So können sich (nicht angestellte) Fahrer*innen über die Plattform ihre Fahrdienstleistungen anbieten und Aufträge erhalten. Uber erhält im Gegenzug eine prozentuale Provision von dem Betrag, den der Fahrgast mittels App resp. Plattform begleicht. Uber stellt sich auf den Standpunkt, dass die App als Plattform nur eine Vermittlungsform darstellt und die Fahrer*innen selbständig erwerbstätig sind.
Das Verwaltungsgericht Zürich stellte hingegen fest:
Die Fahrer*innen sind massgeblich von Uber abhängig und können nur wenige Entscheidungen selbst treffen. Zudem handelten sie aus Sicht des Publikums weder in eigenem Namen noch auf eigene Rechnung. Deswegen sind die an die Fahrer*innen bezahlten Provisionen nicht selbständiges Erwerbseinkommen einer einzelnen Person, sondern gesamthaft AHV-pflichtige Lohnsumme für die Firma Uber! Das Bundesgericht bestätigte diese Rechtsprechung im Jahr 2023 (Urteile 9C_70/2022 und 9C_71/2022 vom 16. Februar 2023).Die hieraus resultierende Nachforderung der SVA Zürich beläuft sich auf mehrere Millionen Franken!
Auswege aus dem Dilemma
Damit das auftraggebende Unternehmen die Risiken zumindest im höchstmöglichen Mass ausschliessen kann, empfehlen wir folgende zwei Lösungsansätze:
- Bestätigung Selbständigkeit vom Dienstleistenden einholen: Verlangen Sie vor Auftragsvergabe eine Bestätigung der Ausgleichskasse des Einzelunternehmens mit Anerkennung der Selbständigkeit aus Sicht der Ausgleichskasse
- Auftragsvergabe an juristische Personen: Ist der Dienstleistende eine juristische Person, d.h. in der Regel eine GmbH oder AG, so ist eine Umqualifizierung zur Scheinselb ständigkeit praktisch ausgeschlossen und die o.g. Risiken sind für das auftraggebende Unternehmen komplett minimiert.
Fragen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir unterstützen Sie gerne bei diesem komplexen Thema.
Volker Hauer
Partner
Leiter Kompetenzbereich Treuhand
dipl. Betriebswirtschafter HF
dipl. Experte in Rechnungslegung und Controlling
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